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Sauerstoffarme Wirbel eröffnen neue Sicht auf den Atlantik

 

- Kieler Meeresforschung weist bisher unbekannte biologische Prozesse im Atlantik nach -


11.01.2016/Kiel. Nach der Entdeckung von sehr sauerstoffarmen Wirbeln im tropischen und subtropischen Atlantik müssen jetzt einige Annahmen zu Stoffkreisläufen in dieser Region neu überdacht werden. Meeresforscherinnen und Meeresforscher aus Kiel und Plön konnten nachweisen, dass innerhalb dieser recht kurzlebigen Wirbel Prozesse ablaufen, die man bisher nicht im offenen Atlantik kannte. Sie können sich unter anderem auf die Nährstoffversorgung des Atlantiks, aber auch auf das Klima auswirken. Die Studie ist in der internationalen renommierten Fachzeitschrift Biogeosciences erschienen.

 

Zunächst dachten alle Beteiligten an einen Messfehler. Im Jahr 2010 zeichnete das Cape Verde Ocean Observatory (CVOO), eine ozeanographische Messstation nördlich der kapverdischen Inseln, für mehrere Wochen einen Sauerstoffgehalt von nahezu Null im oberflächennahen Wasser auf. Im tropischen Ostatlantik existiert zwar ein Tiefenbereich, in dem weniger Sauerstoff im Wasser gelöst ist als in anderen Regionen. Doch nahezu sauerstofffreie Bedingungen, wie man sie zum Beispiel aus dem Pazifik kennt, gebe es im Atlantik nicht – so die damalige Annahme.

Meeresforscher aus Deutschland und Kanada konnten jedoch mit Hilfe der Daten des CVOO, sowie mit Satellitendaten und Messbojen im Meer nachweisen, dass auch im tropischen Atlantik anscheinend häufiger sehr sauerstoffarme Bedingungen auftreten. Sie entstehen in Wirbeln, die sich vor der Küste Westafrikas bilden, eine Fläche etwa halb so groß wie Schleswig-Holstein einnehmen und nach Westen durch den Ozean wandern, bis sie sich irgendwann auflösen. Solch einen Wirbel hatte das CVOO 2010 erstmals erfasst und der Wissenschaft damit viele neue Fragen beschert.
 

Islandia
Mit dem Forschungsschiff ISLANDIA des kapverdischen Instituto Nacional de Desenvolvimento das Pescas (INDP) konnte ein sauerstoffarmer Wirbel direkt beprobt werden. Foto: B. Fiedler, GEOMAR

 

Biologen und Chemiker des Kieler Exzellenzclusters "Ozean der Zukunft", des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel, des Kieler Sonderforschungsbereichs 754 sowie des Max-Planck-Instituts für Evolutionsbiologie Plön haben daraufhin im Frühjahr 2014 einen weiteren Wirbel identifiziert und direkt beprobt, um mehr über die Prozesse darin zu erfahren. Wie sie jetzt in der internationalen Fachzeitschrift Biogeosciences darlegen, haben sie Mikroorganismen gefunden, die vorher noch niemand im offenen Atlantik nachgewiesen hatte. "Diese Mikroorganismen sorgen aufgrund ihres Stoffwechsels für Prozesse, die bisher ebenfalls nicht im Atlantik vermutet wurden", betont die Meeresbiologin Dr. Carolin Löscher vom GEOMAR, Erstautorin der aktuellen Studie.

CTD Betrieb
Wasserproben werden auf der ISLANDIA bearbeitet. Foto: INDP

 

So konnte das Team unter anderem Mikroben nachweisen, die im Wasser gelöste Stickstoffverbindungen zur Energiegewinnung so umwandeln, dass dabei reines Stickstoffgas, aber auch Lachgas entsteht. Letzteres wirkt in der Atmosphäre als starkes Treibhausgas. "Bisher wurde der Atlantik kaum als Lachgasquelle beachtet. Wir wissen inzwischen aber, dass die sauerstoffarmen Wirbel häufiger auftreten. Deshalb müssen wir Annahmen zum Lachgasbudget über dem Ozean wohl überdenken", sagt Dr. Löscher. Gleichzeitig ist Stickstoff ein wichtiger Nährstoff für das Plankton. Deshalb haben die neuen Erkenntnisse auch Auswirkungen auf Vorstellungen von der Biologie des Atlantiks.

Dass die Entdeckungen überhaupt möglich waren, verdanken die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch einer gewissen Portion Glück. "Diese Wirbel haben nur eine begrenzte Lebenszeit und sind nur äußerst schwer im Ozean zu finden. Als wir das Projekt beantragt haben, wussten wir nicht, ob wir überhaupt zur richtigen Zeit am richtigen Ort genug Leute und Geräte haben würden, um einen Wirbel eingehend beproben zu können", berichtet der Co-Autor und Projektleiter Dr. Björn Fiedler vom GEOMAR.

Glidertransport
In Mindelo (Kap Verde) werden zwei ozeanographische Gleiter auf ihren Einsatz vorbereitet. Foto F. Schütte, GEOMAR

 

Doch als Ende 2013 auf Satellitendaten ein sich neu bildender Wirbel vor der Küste Mauretaniens entdeckt wurde, passte alles zusammen. In Zusammenarbeit mit einem anderen Projekt wurden zwei autonome ozeanographische Gleiter eingesetzt, die das Team dem Wirbel entgegen schickte. Im März 2014, der Wirbel hatte sich bereits der Inselgruppe angenähert, nutzten die Forscher das kapverdische Forschungsschiff ISLÂNDIA für direkte Probennahmen. Ebenfalls im März begann in der kapverdischen Hafenstadt Mindelo außerdem eine lange geplante Expedition des deutschen Forschungsschiffs METEOR, in deren Programm kurzfristig Untersuchungen im sauerstoffarmen Wirbel aufgenommen wurden. "So war es uns möglich, erstmalig detaillierte Einblicke in die Biogeochemie solcher Wirbel zu erhalten", sagt Dr. Fiedler. Die jetzt vorliegende Studie ist nur die erste in einer Reihe von Arbeiten mit Ergebnissen aus den Untersuchungen in dem Wirbel.

Prof. Dr. Arne Körtzinger vom GEOMAR, ebenfalls Co-Autor der Studie ergänzt: "Diese Projekt hat wieder gezeigt, wie wichtig es ist, in einer so spannenden Region wie dem tropischen Atlantik über eine gut ausgestattete Basis zu verfügen. Unsere jahrelang bewährte Kooperation mit Kap Verde und der Aufbau fester Forschungsinfrastrukturen dort hat sich wissenschaftlich mehr als bezahlt gemacht."

 


Originalarbeit:
Löscher, C. R., M. A. Fischer, S. C. Neulinger, B. Fiedler, M. Philippi, F. Schütte, A. Singh, H. Hauss, J. Karstensen, A. Körtzinger, S. Künzel and R. A. Schmitz (2015): Hidden biosphere in an oxygen-deficient Atlantic open-ocean eddy: future implications of ocean deoxygenation on primary production in the eastern tropical North Atlantic. Biogeosciences, 12, 7467-7482, 2015, http://dx.doi.org/10.5194/bg-12-7467-2015
 

(Gemeinsame Pressemitteilung des Kieler Exzellenzclusters "Ozean der Zukunft" und des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel vom 11.01.2016; Quelle: Pressestelle GEOMAR)